I am Australian
Meine Beziehung mit Australien findet ihren bisherigen Höhepunkt an diesem Ort, der australischer nicht sein könnte. In den Bäumen sitzen schläfrige Koalas, graue Galahs mit ihren rosafarbenen Köpfen gurren auf der Wiese und in der nahen Lagune wachsen Unmengen wilder Callae. Die Betreiber des abgelegenen Campgrounds auf Kangaroo Island sind ein australisches Pärchen, wie es im Buche steht. Gutmütig und freundlich, und jederzeit für eine Plauderei zu haben. Die Erde ist rot, die Eukalyptusbäume biegen sich im Wind und die Sonne strahlt vom tiefblauen Himmel.
Ich sitze aufgeregt in unserem Campervan und bete um ausreichenden Empfang. Endlich ist er da, der Tag auf den ich seit über fünf Jahren warte und dessen Grundstein, wenn auch unbewusst, vor 13 Jahren gelegt wurde. Heute werde ich offiziell australische Staatsbürgerin und somit vollwertiges Mitglied und Teil des Landes, das ich zu schätzen und lieben gelernt habe. Oder besser gesagt: In das ich mich bei unserer ersten, fünfmonatigen Australien-Reise im fernen Jahr 2009 Hals über Kopf verliebt habe. Dabei war damals Stefan die treibende Kraft, mich hätte es eher nach Südamerika verschlagen. Stefan spürt seit jeher eine Verbindung zu diesem roten, sonnenverbrannten und gleichzeitig fruchtbaren Kontinent. Das ist auch der Wermuts-Tropfen, der das heutige Ereignis ein klein wenig trübt. Österreich erlaubt keine Doppel-Staatsbürgerschaft, und somit ist Stefan das einzige Mitglied unserer kleinen Familie, der zwar über eine permanente Aufenthaltsgenehmigung verfügt, im strengen Sinne aber kein „Australier“ ist.
Ich starre auf den Bildschirm: „The host will let you in soon“, steht da im virtuellen Wartezimmer des Waverley Council. In den sieben Jahren, die wir insgesamt schon in Australien ansässig sind, haben wir immer hier gewohnt. In den Eastern Suburbs, am weltbekannten Bondi Beach, mitten im Touristentummel haben wir uns unser Heim geschaffen. Mit der Geburt von Jakob hat sich die Verbindung noch vertieft. Ich war Teil der örtlichen Mutter-Kind-Gruppe, habe im Eltern-Zentrum die Neugeborenen-Untersuchungen wahrgenommen und mit neuen Freundinnen alle Spielplätze erkundet. Ich habe jeden Wickelraum ausprobiert, Apotheken ausgeforscht, die hochwertige Weleda-Produkte verkaufen, und kenne den kürzesten Weg zu windgeschützten Picknick-Plätzen. Ich bestelle ganz australisch einen Almond Cap und Sourdough with Vegemite and Avo zum Frühstück. Ich habe den Ozean lieben gelernt, genieße den Sprung in die Wellen und der Sand zwischen meinen Zehen fühlt sich nach „Nach-Hause-Kommen“ an.
Punkt 10 Uhr Sydney Zeit füllt sich der schwarze Bildschirm mit Leben. Aus 28 kleinen Rechtecken schauen freudig-gespannte Gesichter. Es dauert ein paar Minuten, bis alle technischen Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt sind. Aufgrund von Covid finden im Moment alle Citizenship Ceremonies online statt. Das hat seine Vorteile (ich kann teilnehmen, obwohl ich gerade Australien bereise und eine kleinen Insel im Great Australian Bight erkunde), aber auch seine Nachteile (es fühlt sich weniger festlich an, die Staatsbürgerschafts-Urkunde wird per Post zugeschickt und nicht formell überreicht, und es gibt auch keinen Umtrunk mit Lamingtons, dem beliebten australischen Kokosnusskuchen). Von offizieller Seite nehmen an der Zeremonie die Bürgermeisterin teil, außerdem zwei Parlamentarier, und zwei Gemeinderäte. In ihrer Eröffnungsrede spricht Bürgermeisterin Paula über die Bedeutung dieses Tages, an dem unsere Migranten-Reise ihren Abschluss findet und wir alle Rechte und Pflichten eines Staatsbürgers übertragen bekommen - allen voran das Wahlrecht. Paula teilt ihre eigene Erfahrung als Tochter griechischer Einwohner (“When my dad became Australian citizen, he celebrated for an entire week!”) und betont, dass unser “commitment” auch eine Chance für Australien ist. Nämlich die Chance auf Vielfalt, auf neue Talente, und damit auf eine offenere, bessere Gesellschaft. Nach einer kurzen Rede des MP (Member of Parliament) for Waverley folgt dann der offizielle Teil. Alle Teilnehmer müssen den Eid wiederholen, in dem wir Australien und seinen Einwohnerinnen und Einwohnern unsere Loyalität schwören:
„From this time forward,
I pledge my loyalty to Australia and its people
Whose democratic beliefs I share
Whose rights and liberties I respect,
And whose laws I will uphold and obey.“
Und dann, nach Jahren der Ansässigkeit, nach allen bürokratischen Hürden und all dem Papierkram, nach dem Staatsbürgerschaftstest im April 2021 und den fast 10 Monaten, in denen ich jeden Tag auf die Einladung zu dieser Zeremonie gewartet habe, bin ich - Australierin.
Der Moment ist emotionaler als erwartet. Als ein zugeschalteter Musiker die inoffizielle Hymne „I am Australian“ anstimmt, spüre ich einen Kloß im Hals. Und als Jakob auf meinen Schoß klettert und wir zusammen mit den anderen Teilnehmern aus vollem Hals mitsingen, fließen die Freudentränen. Nicht nur bei mir, sondern in den meisten kleinen Rechtecken am Bildschirm.
„We are one, but we are many
And from all the lands on earth we come
We’ll share a dream and sing with one voice
‘I am, you are, we are Australian’.“
Der Campervan als improvisierte Location für meine Citizenship Ceremony.
Freudig-gespannte Gesichter auf dem Bildschirm - auf diesen Moment haben wir alle gewartet.
Freudentränen beim lauthalsen Singen der inoffiziellen australischen Hymne.
Standesgemäß feiern wir den Tag am Strand. Der Himmel strahlt fast genauso wie ich.
"I am, you are, we are Australian!"